Es war kurz nach 18 Uhr, als auf dem Widenbad hoch über Männedorf alle Dämme brachen. Fans stürmten den Platz, Spieler lagen sich in den Armen und schon sehr bald darauf floss auch das Bier in Strömen. Wohl manch einer blickte noch einmal rüber zur Anzeigetafel, um sicher zu geben, dass es wirklich wahr ist. 2:1 stand noch immer da. Mit diesem Ergebnis hat die 2. Mannschaft ein grosses Kapitel Vereinsgeschichte geschrieben. Der Aufstieg in die 3. Liga bedeutete den glanzvollen Höhepunkt eines Sonntags, über den man in der Fischotter-Gemeinde noch lange sprechen wird.
Den Grundstein zu diesem historischen Tag hatte die 3. Mannschaft bereis zur Mittagszeit gelegt. Mit dem Sieg gegen den FC Wetzikon 3 holte sich das Team den Gruppensieg in der zweiten Stärkeklasse der 5. Liga. Ein Abschiedsgeschenk wie bestellt für Trainer David Komatzki, der sich nun eine Auszeit gönnt. Über seine Abfindung wurde Stillschweigen vereinbart. Komatzki selber wollte mit der Sprache nicht rausrücken. Gekonnt verwies er auf die noch laufenden Verhandlungen und wollte auf weitere Spekulationen nicht eingehen.
Apropos Spekulationen. Was war die letzten Wochen alles über den letzten Spieltag in der 2. Liga Gruppe 1 gemutmasst worden. Szenarien hüben wie drüben. Gleich vier Teams waren noch in den Abstiegskampf involviert. Darunter auch der FC Männedorf. Im Spiel gegen den FC Urdorf geriet das Team von Trainer Mike Koller in der 89. Minute mit 0:1 in Rückstand. Dieses Ergebnis hätte den Abstieg bedeutet. Was dann aber geschah, ist eine Geschichte, wie sie eben nur der Sport schreiben kann. Noch einmal warfen die Männedörfler alles nach vorne, setzten alles daran, den Ausgleichstreffer zu erzielen. Zwei Mal rettete Goalie René Lobnik gegen die konternden Limmattaler mirakulös. Später sollte ihm dafür das eine oder andere Bier gezahlt werden.
Statue für Bochicchio?
Und dann kam die 93. Minute. In FCZ-Kreisen ist diese seit Filipescus Meisterschuss damals 2006 im Basler St. Jakobspark ohnehin schon legendär. Nun dürfte sie auch in Männedorf Kult werden. Daniel Di Bella leitete noch ein letztes Mal einen Angriff ein, lancierte Nico Bochicchio steil, der das Leder am Urdorfer Keeper vorbei ins Netz schob. Grenzenloser Jubel.
An der nächsten Generalversammlung dürfte nun – so vertraute Quellen – der Antrag zum Bau einer Statue für den Schützen des wichtigsten Treffers dieser Saison gestellt werden. Neben der Speakergondel wäre wohl der ideale Standort hierfür. Der Klassenerhalt des Fanionteams war jedoch das Verdienst der ganzen Mannschaft, die sich die Chance auf den Verbleib in der höchsten Regionalliga bis zum Schluss gewahrt und diese dann – wenn auch in extremis – genutzt hatte.
Diese emotionale Achterbahnfahrt war auch an den Spielern der zweiten Mannschaft nicht spurlos vorbei gegangen. Was hatten auch sie mit dem «Eins» mitgelitten. Und als wäre das Remis gegen Urdorf noch der letzte Funken Motivation gewesen, sagten sich die Jungs von Trainer Mätz Heusser: Jetzt gehört diese Bühne uns.
Und diese Bühne war an diesem hitzigen Nachmittag eine gewaltige. Geschätzte 500 Zuschauer wollten dem Spekakel beiwohnen. Die Affiche hatte diesen Rahmen denn auch verdient. Punktgleich duellierten sich die ewigen Rivalen Männedorf und Meilen um den Aufstieg. Das Heimteam benötigte einen Sieg, dem Gast aus dem Bezirkshauptort reichte ein Remis. Die Mutter aller Seederbys und dazu noch eine Finalissima. Es war also angerichtet. Einen Hauptanteil zu einem stimmungsvollen Sonntag leisteten die Fans. Mit Spruchbannern und Fangesängen peitschten sie die Jungs auf dem Feld an und sorgten damit für den einen oder anderen Gänsehaut-Moment.
In einem Spiel, in dem beide Mannschaften zu Beginn noch etwas nervös agierten, brachte Michel Weber die Platzherren nach einem Querpass von Pascal Pause in Führung. Wirklich beruhigt waren die Nerven von «Zwei»-Trainer Heusser damit allerdings noch nicht. Dieser tigerte weiterhin in seiner Coaching-Zone herum und musste aufpassen, um nicht den Zorn des Schiedsrichters auf sich zu ziehen.
Penalty-Gott Gasser
Die Meilemer, bei denen Edelreservist Stefano Bonadei zur Überraschung vieler von Anfang an spielte, kämpften sich zurück und kamen verdient zum Ausgleich. Auch danach erspielte sich dieses junge Team die eine oder andere gute Torchance, wenngleich die Männedörfler Abwehr meistens stilsicher blieb.
Wie stilsicher wenig später ein Flügellauf des eingewechselten Marco Huber war, darüber gehen die Expertenmeinungen auseinander. Lanciert durch Martin Janku nahm der Joker Geschwindigkeit auf und suchte den direkten Weg zum Tor. Im Strafraum angekommten kreuzte sich Hubers Laufweg mit dem des Verteidigers und der Männedörfler fiel zu Boden. Sofort zeigte der Schiedsrichter auf den Punkt.
Dann kam der grosse Moment des Lief Gasser. Männedorfs Innenverteidiger verwandelte ebenso gekonnt wie bereits vor zwei Wochen beim Auswärtssieg in Küsnacht, wo er doppelt getroffen hatte. Unmittelbar nach dem kollektiven Jubel sackte Gasser zu Boden. Krampferscheinungen plagten ihn. Wenig später war für den Penaltygott Feierabend. Noch konnte er nicht ahnen, dass er mit seinem verwandelten Strafstoss soeben den Aufstieg besiegeln hatte.
Autogramme für die Junioren
In den Schlussminuten rannten die Meilemer nochmals an. Michel Weber hätte nach einem Konter noch die Chance auf die endgültige Entscheidung gehabt, schoss jedoch neben das Tor. Als der Schiedsrichter die Partie abpfiff, begann eine Sause, wie sie das Widenbad schon lange nicht mehr gesehen hat.
Männedörfler Junioren baten darum, dass die frisch gekürten Aufstiegshelden auf Notizzetteln ein Autogramm geben sollten. Diese nahmen sich diese Zeit, obwohl sie eigentlich mit Wichtigerem beschäftigt waren: Ihrem Aufstiegscoach Heusser die wohl verdiente Bierdusche zu verpassen. Nach ein paar weiteren Dajee-Männedorf-Schlachtrufen und dem obligaten Siegesfoto im Tor, stieg die Party so richtig. Der FCM hatte genug Grund sich gebührend zu feiern.
Diese Feier, so berichtete zumindest Meilens Stürmerjuvel Jan Zindel, den die Gästemannschaft mal eben aus dem Klubmuseum auf der Allmend reaktiviert hatte, soll bis in den Bezirkshauptort zu hören gewesen sein. Angestimmt vom ausgangserfahrerenen Chrigi Sifontes und Capitano Thomas Huber wurde gesungen bis in die Nacht.
Für die Meilemer war die knappe Niederlage indes eine besonders bittere Pille. Am Ende einer brillanten Saison hatte es für die junge Mannschaft nur um Haaresbreite nicht gereicht. Sportlich fair und trotz riesiger Enttäuschung gratulierten sie den Männedörflern, was Beachtung verdient.
Männedorfs neuer Volksheld
Längst wird im Fischotter-Dorf übrigens munter gemunkelt, dass Siegestorschütze Krampf-Gasser vom Gemeinderat die Männedörfler Tapferkeitsmedaille erhalten soll. Obendrauf könnte für ihn auch noch eine Jahresration Magnesiumpulver drinliegen.
Penalty-Profiteur Huber wurde neben dem Penalty-Verwandler als Matchwinner bezeichnet. Diese Blumen wollte Huber aber nicht annehmen. Dies einerseits, weil er mit Blumen nichts anfangen kann und andererseits, weil der Aufstieg, wie die ganze Saison das Verdienst dieser Truppe war.
Von dieser Truppe könnte es im Übrigen bald einen fast schon erotisch autemden Kalender im FCM-Onlineshop zu bestellen geben. Clubfotograf Ben Fischer knipste nämlich wie wild Bilder von Spielern, die sich mittlerweile ihrer Trikots entledigt hatten. Ein besonders begehrtes Sujet war Aussenläufer Pascal Pause, der in Stulpen und Boxershorts in der FC-Beiz einen Karton Bier bestellt, um dann – einige Biere später – in ebendieser Schachtel Platz zu nehmen.
Verteidiger Flavio Bocchichio probte derweil für sein Shooting als neues Unterhosen-Model von Dolce & Gabanna und Trainer Mätz Heussers Shirt triefte längst nicht mehr nur vom Gerstensaft, sondern mittlerweile auch nach dem von Sponsor Storen Manser gestifteten Prosecco.
Ob der Erfolgscoach und Ur-Obermeilemer bald Männedörfler Ehrenbürger wird, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Gerüchten zufolge bewegt sich Heusser ohnehin beinahe öfters in Männedorf als in Meilen. So ist dem Aufstiegstrainer die dortge Bar-Landschaft beispielsweise auch mindestens so vertraut wie die Zürcher Südkurve. Und falls die Einbürgerungsbehörde noch ein Beweisstück bräuchte, so wäre das Spruchbanner mit den Worten «De Mätz isch Männedörfler» ein sicheres Indiz. Denn im Fischotterdorf ist Heusser spätestens seit diesem gelb-schwarzen Märchensonntag und dem fulminanten Aufstieg in die 3. Liga mehr als nur angekommen. Und dass es ausgerechnet ein Meilemer in Männedorf zum Volksheld schafft, ist eine Leistung, die schlicht und einfach nicht in Worte zu fassen ist.
Marco Huber